Was passiert im Material, wenn man versucht eine Büroklammer wieder gerade zu biegen? Dieser für uns scheinbar triviale Vorgang löst im Inneren eine Kettenreaktion aus: es entstehen sogenannte Versetzungen. „Grundsätzlich sind Versetzungen Fehler in der kristallinen Gitterstruktur, aber ohne sie könnte man zum Beispiel ein Metall nicht verbiegen“, erklärt Prof. Dehm, Leiter des Lehrstuhls für Materialphysik der Montanuniversität und des Erich-Schmid-Instituts für Materialwissenschaft, das von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) in Leoben betrieben wird. Besonders wichtig werden diese Defekte, wenn die Materialdimensionen immer kleiner werden. Dann treten unerwartete Materialeigenschaften auf. Metalle werden fest wie Keramiken und lassen sich in einigen Fällen fast wie Gummi bis zu hohen Dehnungen verformen.
Veröffentlichung im „Nature Materials“
Erstmals konnte eine Forschungsgruppe einen winzigen Aluminiumeinkristall 150% dehnen und bei der Verformung mit dem Transmissionselektronenmikroskop (TEM) direkt zuschauen. Die Erkenntnisse darüber wurden im renommierten Wissenschaftsmagazin ‚Nature Materials’ unter dem Titel „In situ observation of dislocation nucleation and escape in a submicron Al single crystal“ publiziert. „Nach ‚Nature’ und ‚Science’ ist es im Bereich der Materialwissenschaften sicherlich das bekannteste Wissenschaftsjournal und dementsprechend freuen wir uns natürlich über diese Veröffentlichung“, erklärt Dehm.
Forschung im Nanometer-Bereich
Kompliziert und aufwendig waren bereits die Vorarbeiten zu den eigentlichen Versuchen: zuerst musste als Probe ein Aluminium-Einkristall in der Größe von 500 nm (d.h. mehr als 100 mal dünner als ein menschliches Haar) hergestellt werden. „Dafür ließen wir auf einem Kochsalzkristall Aluminium wachsen und bedeckten die Aluminiumschicht mit einem Polymerfilm“, so Dehm. Danach wird das Kochsalz (Natriumchlorid) mit Wasser entfernt und mit Ionenstrahlätzen dünne Strukturen in das Aluminium geschnitten. Diese Proben werden dann im TEM verformt. „Das spielt sich alles im Nanometerbereich ab“, so Dehm weiter. Erstmals konnte man direkt zuschauen, was bei der Verformung in so kleinen Materialdimensionen passiert. Aus den daraus gewonnen Erkenntnissen konnten folgende Schlüsse gezogen werden: Materialien verhalten sich in kleinen Dimensionen anders als in großen, da die Versetzungsdichte konstant bleibt und wesentlich kleiner ist als in massiven Metallen. Aber auch die Geschwindigkeit der Verformung spielt eine entscheidende Rolle, da bei hoher Verformungsgeschwindigkeit die Versetzungesdichte ansteigt und die Versetzungen sich verhaken. Interessant sind diese Neuerungen für die Industrie, die sich mit miniaturisierten Bauelementen beschäftigen. „Das reicht vom Sensor für die Auslösung des Airbags in Automobilien bis zu den biegsamen Monitoren“, erklärt Dehm. Grundsätzlich werden durch diese Forschung Verformungsvorgänge besser verstanden, und Vorhersagen können exakter getroffen werden.
Internationale Forschergruppe
An den Experimenten, die in Leoben und Toulouse durchgeführt wurden, waren neben Prof. Dehm der Gastwissenschafter Dr. Oh aus Korea, Dr. Legros, ein TEM Experte aus Frankreich, sowie Dr. Kiener, ein Fachmann für mikromechanische Tests, der nun an der LMU in München forscht, beteiligt. „Wichtige Schlüsselexperimente lassen sich oft nur durch internationale Zusammenarbeit erfolgreich durchführen, da verschiedenste Expertisen kombiniert werden müssen“ erklärt Dehm die Zusammensetzung des Teams.
Weitere Informationen
Univ.Prof. Dr. Gerhard Dehm
Lehrstuhl Materialphysik – Montanuniversität Leoben
Und Erich-Schmid-Institut für Materialwissenschaft der Österreichischen Akademie der Wissenschaften
E-Mail: gerhard.dehm(at)mu-leoben.at
Tel.: 03842/804 109