Die heimische produzierende Industrie stieß im Jahr 2021 rund 28 Millionen Tonnen CO2e in die Atmosphäre aus und ist damit für mehr als ein Drittel der gesamten Emissionen in Österreich verantwortlich. Die Expert:innen des NEFI-Innovationsverbundes haben in ihrer aktuellen Studie drei Szenarien entwickelt, die wichtige Impulse für eine klimaneutrale Zukunft der österreichischen Industrie geben. Die Studie zeigt auf, in welchen Bereichen Projekte umgesetzt werden sollten, und welche Strategien und Maßnahmen ergriffen werden könnten, um Klimaneutralität im industriellen Energiesystem zu erreichen. Das Ziel ist, durch den Einsatz von bestehenden und neuen Technologien sowie Effizienzsteigerungen die industrielle Produktion in Österreich nachhaltig zu verändern. Der größte Hebel dafür liegt in der günstigen Verfügbarkeit von erneuerbarem Strom und Gas und der entsprechenden Energieinfrastruktur.
Wolfgang Hribernik, NEFI-Verbundkoordinator und Head of Center for Energy am AIT Austrian Institute of Technology: „Die Energiewende in der Industrie erfordert den Einsatz aller Akteure – dank der vorliegenden Studie und der Zusammenarbeit mit industriellen Leitbetrieben kennen wir nun den Pfad, um die Transformation zu einer klimaneutralen österreichischen Industrie aktiv zu gestalten. Die NEFI-Szenarien zeigen neben den technologischen Herausforderungen auch die regulatorischen Hürden auf. Diese müssen überwunden werden, um die industrielle Energiewende in Österreich umsetzen zu können.“
Thomas Kienberger, Leiter des NEFI_Lab und Leiter des Lehrstuhls für Energieverbundtechnik Montanuniversität Leoben: "Mit den NEFI-Szenarien wurde Pionierarbeit für die Entwicklung von konkreten Pfaden für die Transformation des industriellen Energiesystems geleistet. Forschung, Entwicklung und Demonstration sind die Schlüssel zu einer schnellen Umsetzung neuer Technologien in der Industrie. Die Ergebnisse zeigen, dass wir den Umstieg in Österreich schaffen können. Allerdings müssen die Anstrengungen in diesen Bereichen verstärkt und beschleunigt werden.“
Drei Szenarien für eine klimaneutrale österreichische Industrie
Für die Entwicklung der Szenarien wurde die produzierende Industrie in dreizehn Teilsektoren gegliedert, die neben dem Baugewerbe und dem Bergbau auch das verarbeitende Gewerbe umfassen. In mehreren Schritten wurden industrielle Daten über Energieverbrauch, Brennstoffe und Potenziale zur Effizienzsteigerung erhoben und in drei Szenarien erfasst. Um Klimaneutralität zu erreichen, muss die Industrie von fossilen Brennstoffen wie Kohle, Erdgas oder Öl so schnell wie möglich auf klimaneutrale und erneuerbare Energiequellen umsteigen.
Das erste Szenario, Business-As-Usual (BAU), beschreibt eine weitgehende Fortführung aktueller Trends und Technologien und dient als Referenz für die zwei progressiveren Szenarien. Hier wird der Energiebedarf bis 2050 um bis zu 29 TWh auf insgesamt 161 TWh steigen und die österreichische Industrie weiterhin große Mengen fossiler Energieträger, wie Kohle, Naphtha und Öl, einsetzen. Dies würde zu einem Gesamtausstoß von 23 Millionen Tonnen CO₂e im Jahr 2050 führen.
Das zweite Szenario, Pathway of Industry (POI), wurde in Zusammenarbeit mit den industriellen Leitbetrieben der einzelnen Teilsektoren entwickelt. Die Unternehmen lieferten dafür eine Abschätzung, welche klimafreundlichen Technologien bis 2030 unter den gegebenen Rahmenbedingungen im industriellen Energiesystem eingesetzt werden könnten. Anhand von kurz- bis mittelfristig verfügbaren Technologien wurde diese Einschätzung dann bis 2050 extrapoliert. Das Szenario POI skizziert damit eine realistische Perspektive der Industrie und liefert zudem Informationen über die techno-ökonomischen bzw. regulatorischen Hürden für die Transformation der Industrie. In diesem Szenario steigt der Gesamtenergiebedarf bis 2050 auf 168 TWh (inklusive Strombedarf für die Herstellung des benötigten Wasserstoffs), während die CO2-Emissionen um 31 Millionen Tonnen auf 0,6 Millionen Tonnen sinken.
Das dritte Szenario, Zero Emissions (ZEM), zeigt, wie mit umfangreichen und ambitionierten Maßnahmen die vollständige Klimaneutralität der österreichischen Industrie bis 2050 erreicht werden kann. Mit der Methode des Backcasting wurde ein möglicher Transformationspfad aufgezeigt, der neben technologischen, auch sozio-ökonomische und infrastrukturelle Parameter berücksichtigt. In diesem Szenario steigt der Gesamtenergiebedarf bis 2050 auf 172 TWh. Der Anstieg ist insbesondere auf den vermehrten Einsatz von Wasserstoff in der Eisen- und Stahlindustrie und in der chemischen Grundstoffproduktion zurückzuführen. Kunststoffe würden dann nicht aus fossilen Erdölprodukten, sondern auf der Basis von Wasserstoff und CO2 hergestellt. Damit könnten auch unvermeidliche CO2-Emissionen der Zementindustrie in einer sektorübergreifenden Zusammenarbeit sinnvoll genutzt werden.
Technologische Maßnahmen für die Realisierung der Szenarien: Strom spielt Schlüsselrolle
Die Basis für die Transformation bilden Produktionstechnologien der jeweiligen Industriebranchen und vier technologische Hebel: der Einsatz von erneuerbaren Gasen und Biomasse, die Elektrifizierung und eine gesteigerte allgemeine Energieeffizienz, CO2-Abscheidung sowie die Kreislaufwirtschaft.
Bei der Transformation des Industriesektors wird die Elektrifizierung auf Basis von erneuerbarem Strom eine Schlüsselrolle spielen. Aktuell wird 20% des Gesamtenergiebedarfs der österreichischen Industrie mit elektrischer Energie gedeckt – das entspricht rund 27 TWh. Aus der Studie geht hervor, dass sowohl im POI- als auch im ZEM-Szenario etwa 49 TWh Strom für Endenergieanwendungen (ohne zusätzlichen Strombedarf für die Wasserstoff-Elektrolyse) benötigt werden, um industrielle Klimaneutralität zu erreichen. Neben der allgemeinen Elektrifizierung wie dem Einsatz von Wärmepumpen geht dieser Anstieg vor allem auf das Konto von Elektrolichtbogenöfen und Anlagen zur CO2-Abscheidung in den Sektoren Eisen und Stahl sowie nichtmetallische Mineralien. Wird zusätzlich auch noch der gesamte Wasserstoffbedarf in Österreich durch Elektrolyse gedeckt, steigt der Gesamtstrombedarf für die industrielle Produktion im ZEM-Szenario auf 116 TWh. Bei der Gasversorgung basieren die Szenarien POI und ZEM auf unterschiedlichen technologischen Anwendungen: Während POI stärker auf Methan und Biomasse setzt, kommt in ZEM vor allem Wasserstoff zum Einsatz.
Zudem werden für eine rasche Implementierung der neuen Technologien gezielte Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsprojekte gemeinsam mit den Industriebetrieben notwendig sein. Für die Bereitstellung des hohen Energiebedarfs von 172 TWh im ZEM-Szenario, vorrangig für Strom, Wasserstoff, Biofuels und natürliche Gase, ist der Ausbau der Energieinfrastruktur essenziell. Dazu gehören leistungsfähige Strom- und Gasnetze (inkl. Wasserstoff bzw. dessen Derivate) sowohl für den inländischen als auch für den grenzüberschreitenden Transport.
NEFI-Projekt OxySteel: Klimaneutralität in der Stahlproduktion
Das Projekt OxySteel beschäftigt sich mit Energieeffizienz und CO₂-Reduktionsmaßnahmen in der Stahlproduktion. Die Ergebnisse zeigen, dass durch das neuartige Prozessdesign jährliche Energieeinsparungen im Ausmaß von 12 GWh möglich sind, das entspricht zirka 10 % des Jahreserdgasverbrauchs der Stadt Leoben. Bei entsprechendem Technologie-Rollout betragen die Einsparungen ein Vielfaches – ein deutlicher Beweis für die große Hebelwirkung der NEFI-Projekte.