"Es ist absurd, dass ein Material als so schlecht wahrgenommen wird", sagte Clemens Holzer vom Institut für Kunststoffverarbeitung der Montanuniversität Leoben, der in Alpbach an einem Arbeitskreis zum Thema teilnimmt. Dafür macht er unter anderem Medien verantwortlich, die Plastik quasi als böse "bewerben", sowie die Politik. So nannte etwa die damalige Umweltministerin Elisabeth Köstinger (ÖVP) 2018 das Einweg-Plastik-Verbot in der EU einen "wichtigen Schritt in eine plastikfreie Zukunft".
"Ich denke, eine Zukunft ohne Plastik ist alles andere als wünschenswert", meinte Holzer: "Ich möchte zum Beispiel nicht in einem kunststofffreien Krankenhaus behandelt werden". Dann müsste man auch ohne Autoreifen, Wind- und Solarkraftwerke sowie isolierte Stromkabel auskommen.
Auch psychologische Mechanismen verantwortlich
"Es gibt mehrere psychologische Mechanismen, warum das Material in der Wahrnehmung zu so etwas Bösem wurde", erklärte Thomas Brudermann vom Institut für Systemwissenschaften der Universität Graz. Er nennt als erstes Beispiel das Phänomen der "Attribute Substitution", bei dem in der öffentlichen Diskussion ein komplexes Thema wie Kunststoffe, ihre Einsatzmöglichkeiten, Herstellungsvarianten und Recycling einfach auf einen Streit um Plastiksackerln im Supermarkt reduziert wird.
Zweitens gebe es viele Möglichkeiten, umwelt- und klimafreundlich zu handeln. Manche bedeuten größere Einbußen, wie zum Beispiel auf ein eigenes Automobil zu verzichten, manche sind sehr einfach, wie ohne Plastiksackerl auszukommen. Eine einzige ressourcenschonende Handlung - und zwar gerne jene, die am leichtesten von der Hand geht - genügt oft, das schlechte Gewissen zu beruhigen. Dies nennen Experten "Single Action Bias".
Drittens gäbe es das sogenannte "Moral Licensing", dass Menschen teils ohne Schuldgefühle eine schlechte Tat vollführen können, wenn sie vorher eine gute Tat geleistet haben. Die Stofftaschen stets beim Einkauf mitzunehmen würde demnach in der persönlichen Wahrnehmung etwa eine klimaschädliche Flugreise zumindest teilweise entschuldigen.
Kunststoffe für viele neue Technologien notwendig
Die so oft verunglimpften Kunststoffe wären im Kampf gegen den Klimawandel aber auch wichtig, so Holzer: "Sie bestehen größtenteils aus Kohlenstoff und man könnte zum Beispiel aus Grün- und Schlachthausabfällen oder sogar aus dem Kohlendioxid der Luft Kunststoffe herstellen." Damit wäre der Kohlenstoff in dem Material gebunden, solange man es verwendet, recycelt oder deponiert. Außerdem bräuchte man die Kunststoffe für viele neue Technologien wie Sensoren, Thermoisolation und den Leichtbau etwa bei Flug- und Fahrzeugen.
Auch bei Lebensmittelverpackungen haben sie weiterhin ihre Berechtigung, so der Experte: "Es gibt mittlerweile viele Studien, die zeigen, dass die Verpackungen nur zehn Prozent zur Ökobilanz beitragen, die restlichen 90 Prozent liegen bei den Lebensmitteln inklusive dem Transport." Man sollte die Verpackung demnach bestmöglich gestalten, damit die kostbaren Lebensmittel geschützt werden. "Wenn ich bei einer Gartenparty jede einzelne Gurke aus dem Plastik schälen muss, kommt mir das zwar auch zunächst absurd vor", meinte er: "Wenn man allerdings weiß, dass damit die Haltbarkeit um mindestens zwei Wochen länger ist, kann man aber erkennen, dass solche Verpackungen durchaus Sinn machen."
Nicht zuletzt wären auch die viel gescholtenen Plastiksackerl im Supermarkt alles andere als böse: "Wenn man im Supermarkt seine Stofftasche vergisst, ist der Griff zum Plastiksackerl die ökologisch sinnvollste Alternative", so Holzer. Er plädiert allerdings für Pfand auf Einkaufstaschen sowie sämtliche Getränkeflaschen- und Dosen. "In Österreich mit dem freiwilligen System erreichen wir zwar beim Recycling von PET-Flaschen 75 Prozent Sammelquote, in Deutschland mit dem generellen Flaschenpfand sind es aber 95 Prozent", sagte er: "Für mich ist die Nichteinführung des Pfandsystems deshalb völlig unverständlich."
Bericht: APA Science
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