Wissenschaftler können Atome zu Nanokristallen anordnen, aber auch mehrere Nanokristalle in einer bestimmten Anordnung kombinieren. Wie „normale“ Atome in einem „normalen“ Kristall sitzen diese Nanoteilchen dann in einer festen Struktur neben- und übereinander und formen einen sogenannten Superkristall. So können Forscher gleich auf mehreren Ebenen die Eigenschaften des Materials beeinflussen: Sie wählen die Atomsorte, anschließend fügen sie sie zur gewünschten Nanokristallstruktur zusammen, und schließlich ordnen sie auch die entstandenen Nanokristalle in einer bestimmten Struktur an.
Die neuen Forschungsergebnisse erleichtern die Anwendung von kolloidalen Nanokristallen (Das sind anorganische Partikel mit einigen Hundert Atomen) als sogenannte „künstliche Atome“, um synthetische Festkörper und Werkstoffe herzustellen, die geplante und völlig neuartige Materialeigenschaften aufweisen. „So lassen sich mit richtig angeordneten optisch-aktiven Nanokristallen Laser, Lichtdetektoren oder flexible LEDs realisieren. Aus magnetischen Nanoteilchen aufgebaute Superkristalle könnten als zukünftige Datenspeicher mit extrem hoher Speicherdichte dienen, oder metallische Superkristalle als Speicher für Lithium-Ionen die Kapazität von Lithium-Ionen-Akkus verbessern“, erklärt der Leiter des Forschungsteams Dr. Rainer Lechner vom Institut für Physik der Montanuniversität
Die publizierte Arbeit befasst sich mit der Thematik der Selbstorganisation, also mit dem Prozess, in dem einzelne, in einer Lösung fein verteilte Nanoteilchen zu einer geordneten Struktur zusammenwachsen: einem Superkristall. Mithilfe von Röntgenbeugung (SAXS) konnten die Forscher in-situ, d. h. in Echtzeit während des Wachstums, bei diesem Selbstorganisationsprozess zusehen und grundlegende Fragen zu der Prozesskinetik beantworten. Bestätigt wurden die Ergebnisse durch theoretische Computer-Simulationen, welche darüber hinaus eine neuartige Beziehung zwischen der Orientierung der nicht sphärischen Nanokristalle und der Superkristall-Struktur herstellen.
Die einzigartige Kombination von Experiment und Simulation, der Zugang zu einer europäischen Großforschungsanlage sowie die Zusammenarbeit zwischen drei österreichischen Universitäten (Montanuniversität Leoben, Technische Universität Graz und Universität Wien) und internationalen Forschungspartnern ermöglichten diese wissenschaftlichen Ergebnisse, fasst Lechner zusammen.
Gemeinsame Nutzung von Großforschungsanlagen
„Experimente dieser Art sind nur an einer Großforschungsanlage wie der Synchrotronstrahlungsquelle ELETTRA in Triest möglich", erklärt Lechner. Die Messungen wurden an der Austro-SAXS-beamline der TU Graz durchgeführt, die sich unter der Leitung von Assoz.Prof. Dr. Heinz Amenitsch vom Institut für Anorganische Chemie befindet. Die einzelnen Nanokristalle (Größe um die 20 Milliardstel Meter) für den Zusammenbau dieser neuartigen Superkristalle wurden von Kollegen der ETH Zürich und der FAU Erlangen-Nürnberg chemisch synthetisiert und für dieses Forschungsprojekt zur Verfügung gestellt.
DerErstautor des experimentellen Teiles dieser Arbeit, Dr. Max Burian, hat bereits während seiner Masterarbeit in Leoben am Institut für Physik begonnen, Methoden zu entwickeln, um aus den Streudaten auch die genaue Form der Nanokristalle zu bekommen. „Die geometrische Form der einzelnen Nanokristallen beeinflusst maßgeblich die spätere Kristallstruktur der mikrometergroßen Superkristalle”, erläutert Burian, der auch während seiner Doktorarbeit an der Austro-SAXS-beamline an diesem Thema weiter forschte.
Parallel dazu hat die Erstautorin des theoretischen Teiles dieser Arbeit, Mag. Carina Karner, während ihres Doktorats am Institut für Computational Physics der Universität Wien ein Simulationspaket geschrieben, welches die Selbstorganisation genau solcher nicht-sphärischer Nanoteilchen modellieren kann. Mit Hilfe dieses Simulationspakets konnten Karner und Univ.-Prof. Dr. Christoph Dellago, dem Leiter des Instituts für Computational Physics, das Kristallwachstum im Computer realitätsnah simulieren und darüber hinaus Erkenntnisse gewinnen, die aus dem Experiment nicht erkennbar waren: „Wir haben eine neue Orientierungsphase entdeckt, in der die Nanokristalle sechs verschiedene globale Orientierungen aufweisen, während sie ihre Position am Gitter beibehalten”, erklärt Karner.
Weitere Information:
Dr. Rainer T. Lechner
Institut für Physik
Montanuniversität Leoben
E-Mail: rainer.lechner(at)unileoben.ac.at
Tel.: +43 3842 402 4627
Link zur Onlineversion des wissenschaftlichen Artikels: doi.org/10.1002/adma.201870235